Einleitende Kurzdefinition: Ein Spiegelstereoskop ist ein optisches Instrument zur dreidimensionalen Betrachtung (Stereobetrachtung) eines Bildpaares, basierend auf der horizontalparallelen Achsendifferenz der beiden Teilbilder. Mit jedem Auge werden getrennte Teilbilder betrachtet, deren Eigenschaften dem natürlichen räumlichen Sehen entsprechen. Im Gegensatz zum einfachen Linsenstereoskop wird beim Spiegelstereoskop die Betrachtungsbasis auf das Mehrfache des Augenabstandes vergrößert, da die Strahlen durch Oberflächenspiegel umgelenkt werden.

Im Beitrag „Erstellung eines Raumbildes mittels hybriden Workflows“ (erschienen auch im Stereojournal Heft 2/2024 der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie) ging es um den Nutzen des hybriden Workflows im Rahmen stereoskopischer Techniken im Allgemeinen. Sowohl konventionell analog hergestellte als auch digitale Stereoaufnahmen können unter Nutzung dieser Technik digital bearbeitet und danach wieder zur Betrachtung sowohl analog als auch digital ausgegeben werden. Einzige Einschränkung: die erneute analoge Ausgabe als hochauflösendes Durchsichtsbild (Dia) mit dem damit verbundenen Vorteil des erhöhten Dynamikumfanges (Dmax bis über 3, d.h. Kontrastumfang von 1:1000) ist nach einer digitalen Bearbeitung technisch derzeit nicht möglich (der Kontrastumfang eines Aufsichtsbildes auf Fotopapier beträgt nur ca. 1:100). Hierfür kann aber selbstverständlich das ja gegebenenfalls vorhandene unbearbeitete analoge Durchsichtsbild (Diapositiv) genutzt werden.
Sehr lohnend – aber augenscheinlich wenig verbreitet – ist es sowohl primär digital als auch konventionell analog erstellte Stereoaufnahmen mittels analoger Technik in einem Spiegelstereoskop als Aufsichtsbild (Stereogramm) zu betrachten. Der beschriebene hybride Workflow ist die Grundvoraussetzung ein analoges Stereobild zur korrekten Betrachtung in einem Spiegelstereoskop zu erstellen. Theoretisch könnte dies auch ganz analog durch Anfertigung entsprechender Vergrößerungen von analogen Diapositiven (oder Negativen) erfolgen. Die heute geforderte korrekte Justierung der Teilbilder (Scheinfenster, Korrektur von Höhen- bzw. Rotationsfehlern) ist auf diese Weise allerdings kaum möglich.
Spiegelstereoskope waren im 20. Jahrhundert vorrangig für die Geodäsie (vor allem im Militärbereich) zur Betrachtung und topographischen Vermessung von großformatigen Luftbildern (Papierabzüge oder Diapositive) konstruiert worden. Mittels der Verwendung einer Messschraube können u.a. Höhenmessungen im Luftbild vorgenommen werden. Der stereoskopische Raumeindruck war dabei eine unverzichtbare Voraussetzung für die Bildinterpretation. Es ging aber in diesen Anwendungen nie darum sich an dem Seheindruck eines Raumbildes per se zu erfreuen. Den Begriff des Stereofensters kannten die Anwender seinerzeit so noch nicht, es ging ja vorrangig um die Erhebung von Höhenlinien zur topographischen Beschreibung einer bestimmten Region. Zudem überlappten sich die beiden – aus einem Flugzeug mit einem zeitlichen Abstand aufgenommenen – Teilbilder meist nur um ca. 60%.
Die Methode des stereoskopischen Sehens mittels eines Spiegelstereoskops wurde von Sir Charles Wheatstone öffentlich erstmalig am 21.Juni des Jahres 1838 bei der Royal Society in London vorgestellt. Da die Photographie zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht erfunden war, nutze Wheatstone spezielle von ihm zuvor berechnete Zeichnungen.
Die Methode ein digital oder analog erstelltes Stereobild analog als Aufsichtsstereogramm für ein Spiegelstereoskop auszugeben ist technisch bedeutend einfacher als die derzeit weitaus mehr ausgeübten Techniken der Projektion (mittels Beamer und Shutterbrillen oder Polarisationsgläsern) bzw. Betrachtung mittels spezieller Bildschirme (Lentikularlinsen) und auch 3D-Viewer. Der größte Vorteil gegenüber den rein elektronischen Verfahren dürfte in der fehlenden Komplexität liegen. Ein nicht zu leugnender Nachteil ist allerdings, dass im Spiegelstereoskop immer nur jeweils eine Person das Stereobild betrachten kann. Dafür funktioniert es IMMER. Ein Stereogramm mit einem Spiegelstereoskop zu betrachten entschleunigt und befreit von Stress durch Hyperkomplexität!
Aber warum ein Spiegelstereoskop verwenden und nicht etwa ein einfaches Linsenstereoskop wie z.B. die faltbaren Scherenspreizenbetrachter für das Format 6×13 oder die früher sehr verbreiteten Keystone-Stereo-Betrachter für größere Karten?
Die Antwort ist einfach: Die Qualität des Seheindrucks steigt mit der Größe (Fläche) der Aufsichtsbilder. Ein Teilbild eines Stereogramms für die weitverbreiteten Aufsichtsbetrachter im Format 6×13 (die früher in Serie als Kontaktkopien gefertigt wurden) hat eine Fläche von nur ca. 25 cm². Bei einem Teilbild für ein qualitativ hochwertiges Spiegelstereoskop dagegen beträgt die Fläche (bei einer Einzelbildgröße von 16 cm Kantenlänge) immerhin 256 cm². Dies entspricht der 10-fachen (!) Fläche.

Wie also geht es praktisch? Erster Schritt ist der Erwerb eines geeigneten Spiegelstereoskops. Dieser Schritt gelingt am ehesten über die bekannten Plattformen wie z.B. Ebay oder ähnlichen Portalen. Wenn Sie dann Besitzer eines Spiegelstereoskops (mit hoffentlich intakten Oberflächenspiegeln) sind, müssen Sie zwingend die Größe und den Abstand der Teilbilder der Fläche des Sehfelds und der Basis des jeweiligen Spiegelstereoskops anpassen. Wenn diese Größen nicht aus den mitgelieferten Dokumentationen ersichtlich sind, können Sie die Daten über eine Suchmaschine herausfinden oder – so habe ich es getan – empirisch: Sie bauen das Stereoskop auf und legen ein ganz normales Bild Ihrer Wahl unter die rechte bzw. linke Seite. Nun schauen Sie mit einem Auge durch das Okular und prüfen ob das Bild fast formatfüllend und nicht verzerrt zu erkennen ist. Ist das Bild zu klein (nicht formatfüllend), nehmen Sie im nächsten Schritt ein größeres und vice versa. Sie brauchen noch nicht einmal ein Bild. Sie können auch auf ein weißes Blatt Papier ein Quadrat bzw. ein Rechteck zeichnen (bei den meisten Spiegelstereoskopen ist die im Sehfeld liegende darstellbare Kantenlänge vertikal größer als horizontal).
Wenn Sie die maximal gut erkennbare Bildhöhe bzw. -breite bestimmt haben, ermitteln Sie im zweiten Schritt den richtigen Abstand der Teilbilder zueinander und messen diesen aus. Dieser Abstand entspricht nach meinen Erfahrungen allerdings nicht der vom Hersteller angegebenen Basis bzw. dem Fernstpunktabstand (z.B. beim Spiegelstereoskop SOKKIA MS 27: 27 cm), sondern liegt darunter, da ja das Stereofenster berücksichtigt werden muss. Ich habe für das Modell SOKKIA MS 27 empirisch einen Teilbildabstand von ca. 25 cm ermittelt. Im Zweifel empfiehlt es sich den Abstand lieber etwas zu verringern, da unsere Augen problemlos konvergieren, aber weniger gut divergieren können.
Im dritten Schritt nehmen Sie ein Stereobild Ihrer Wahl und exportieren die Teilbilder im StereoPhoto Maker Pro als Einzelbilder mit einem Rand und drucken Sie aus. Dann legen Sie diese unter Ihr Spiegelstereoskop und begutachten das Ergebnis. Erst wenn Sie damit wirklich zufrieden sind, sollten Sie die Bilder zu einem externen Dienstleister zur Ausbelichtung bzw. Druck geben. Ich habe anfänglich beide Teilbilder auf einem schweren Karton (Dicke 5 mm) bzw. Dibond-Material im Format 30 x 40 bzw. auch 30 x 45 bzw. 30 x 50 ausbelichten lassen, diese Technik dann aber wieder aufgegeben, da die derartig hergestellten Stereobilder zu schwer wurden (20 Stereobilder in einer Aufbewahrungskassette wiegen ca. 10 kg).
Anhand des weit verbreiteten Spiegelstereoskops SOKKIA MS 27 (zuletzt auch unter dem Markennahmen Topcon vertrieben) werden im Folgenden die einzelnen Schritte genau beschrieben, die zur Herstellung eines Aufsichtsstereogramms – bestehend aus 2 Bildern mit Rand – erforderlich sind.
- Nach Auswahl Ihres Bildes (falls analog erstellt: zunächst Digitalisierung der Einzelbilder mittels Scanner oder Anfertigung digitaler Aufnahmen im RAW-Format auf dem Lichtpult mittels Makroobjektiv und hochauflösender Digitalkamera) erfolgt ein Importieren in den StereoPhoto Maker Pro. Falls Sie ein Diapositiv verwenden, ist eine vorherige Angleichung des Kontrastumfangs mittels geeigneter Software (z.B. Capture One) zwingend erforderlich (s. 1. Absatz dieses Beitrags)
- Justage und Bildzuschnitt wie gewünscht mittels StereoPhoto Maker Pro. Ich empfehle eine Endgröße für die Bildbreite von 5000 Pixel (diese dürfte für alle weiteren später gewählten Anwendungen ausreichend sein)
- Abspeicherung des justierten und gegebenenfalls beschnittenen Stereobildes zur weiteren Verwendung (analog oder digital) im JPS-Format
- Aufrufen des Stereobildes und dann Speicherung der Einzelbilder im JPG-Format
- Soll die Einzelbildbreite 18 cm sein und die einzelnen Karten 25 x 25 cm groß werden, müssen Sie dem Bild noch einen umlaufenden Rand hinzufügen. Bild und Rand bilden zusammen die Leinwand mit Bild (engl. „Canvas“). Da das 18 cm große Einzelbild in der Breite über 5000 Pixel verfügt, sind (bei einem quadratischen Bild) noch allseits 3,5 cm hinzuzufügen, damit am Ende der korrekte Einzelbildabstand bei 25 cm liegt. Diese 3,5 cm entsprechen (Dreisatz) 972 Pixeln. Da beim Druckdienst immer mit einem leichten Beschnitt (meist 2 mm) zu rechnen ist, nehmen Sie 1000 Pixel. Sie können den Rand um das Bild in einer Farbe Ihrer Wahl ausführen. Ich habe mich für ein dunkles Grün entschieden, letztendlich ist dies eine Geschmacksfrage. Ich rate aber zu einer dunklen Farbe, da so das Scheinfenster besser zum Ausdruck kommt. Auch finde ich es vorteilhaft, wenn die Bildecken abgerundet werden.
- Zuletzt müssen Sie die Bilddateien nur noch einem Bilderdienst übermitteln (Ausdrucke auf gewöhnlichem Fotopapier sind völlig ausreichend, die gewählte Oberfläche sollte aber keinesfalls stark strukturiert sein, da dies dem Stereoeffekt entgegensteht)
- Nach Erhalt legen Sie Ihre Einzelbilder einfach bündig nebeneinander unter das Spiegelstereoskop. Zu achten ist jetzt nur noch auf eine passende Aufsichts-Beleuchtung (schatten- und blendfrei).

Im Anhang finden Sie die von mir ermittelten Spezifikationen ausgewählter Spiegelstereoskope (die Liste ist natürlich beschränkt auf Stereoskope aus meinem Besitz und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit). In der Aufstellung finden Sie auch Angaben welche Modelle ich als weniger (das Sokkia MS 16 ist klein und leicht, die Einzelbildgröße von maximal 9 cm aber deswegen zu klein um ein qualitativ hochwertiges Seherlebnis zu liefern) bzw. völlig ungeeignet erachte.
Falls Sie es bevorzugen die beiden Teilbilder auf einer Fläche gemeinsam auszudrucken (empfehlenswert insbesondere bei einfachen kleineren Abzügen, die nicht auf stabilen Karton aufgezogen sind, s.o.), finden Sie im Anhang auch hierzu Informationen zu den empfohlenen Größen.
Zum Abschluss weise ich nochmals darauf hin, dass die maximalen Bildgrößen bzw. Bildabstände für das jeweilige Spiegelstereoskop für einen ungetrübten Seheindruck unbedingt berücksichtigt werden müssen.
Es gibt zwar ein einfaches (aus schwarzem Kunststoff 1985 im VCH-Verlag gefertigtes) Spiegelstereoskop (nach F. Vögtle) bei dem Sie den Bildabstand verschieben können, der damit erzielbare Seheindruck rechtfertigt aber nicht den oben beschriebenen Aufwand.
Anhang: Einzelbildgrößen bzw. Bildabstände bei ausgewählten Spiegelstereoskopen
(Empirisch ermittelt, zuletzt aktualisiert am 8.11.2024. Wenn eine Seriennummer gefunden wurde, ist sie angegeben)
Spiegelstereoskop SOKKIA (SOKKISHA TOKYO) bzw. auch TOPCON MS 27 neu:
Einzelbild ca. 18×18 cm, Bildabstand (Nahpunktabstand) 25 cm (Steg 7 cm)
Laut Hersteller jedoch: Sehfeld 18 x 23 cm, Basis 27 cm (Fernstpunktabstand)
Empfehlung: Hierfür werden 2 separate Karten à 25 cm Seitendurchmesser erstellt (davon 3,5 cm Rand), zusammengeschoben somit 50×25 cm. Aufwendiger, aber eleganter in der Anwendung ist es beide Teilbilder auf einer Karte 50×30 auszugeben.
Spiegelstereoskop SOKKIA (SOKKISHA TOKYO) MS 27 alt oder TOKYO OPTICAL Co. LTD. (Seriennummer 153720):
Einzelbild ca. 16×16 cm, Bildabstand 25 cm
Hierfür werden 2 separate Karten à 25 cm Seitendurchmesser erstellt (s.o.)
Spiegelstereoskop Carl Zeiss (Oberkochen) N2 (Seriennummer 119433):
Einzelbild ca. 16×16 cm, Bildabstand 20 cm (Steg 4 cm)
Es wird daher nur Stereokarte erstellt (im Außenformat 40×30) oder 2 à 20×30 cm
Spiegelstereoskop WILD ST 4 (hellgrüner Hammerschlaglack, made in Singapore):
Einzelbild ca. 16×16 cm, Bildabstand ca. 24 cm (laut Hersteller 25 cm)
Es werden daher 2 Karten erstellt (à 20×20 cm oder 20×30, Breite x Höhe).
Spiegelstereoskop Carl Zeiss (Jena) Spiegelstereoskop und Zeichenstereometer, DDR Produkt (Seriennummer 258365):
praktisch ermittelt: Einzelbild 16 cm Breite, Abstand: 26 cm
Laut Hersteller: Einzelbild 18 cm, Fernpunktabstand: 26 cm
Spiegelstereoskop ZEISS AEROTOPO hellgrau, made in Germany (Seriennummer 1759):
Einzelbild 12 cm, Bildabstand 26 cm (Steg 14 cm)
Spiegelstereoskop ZEISS AEROTOPOGRAPH GmbH (1931-1946) hellgrau, Carl Zeiss Jena (Seriennummer 5918):
Einzelbild 12 cm, Bildabstand 26 cm (Steg 14 cm)
Spiegelstereoskop Meopta LF 12:
Einzelbild kleiner als 12 cm, Bildabstand 26 cm (Steg 14 cm)
Spiegelstereoskop SOKKIA (SOKKISHA TOKYO) MS 16 (Seriennummer 8891):
Einzelbild ca. 9×9 cm, Bildabstand 16 cm (Steg 7 cm)
Laut Hersteller: Sehfeld 10 x 10 cm, Vergrößerung 1,5x, Basis 16 cm (produziert bis 2013)
Empfehlung: Es wird eine Stereokarte erstellt im Außenformat 30×20
Spiegelstereoskop Meopta LF 11:
Einzelbild kleiner als 7 cm, daher für die stereoskopische Bildbetrachtung eigentlich nicht nutzbar, da das Sichtfeld viel zu klein ist.
Pocket 3Dvu (www.berezin.com):
Aus Kunststoff gefertigtes, sehr kleines und leichtes, zudem preiswertes (Stand 10/2024: 38,95 $) Spiegelstereoskop mit einstellbaren Bildabständen (ca. 15 cm bis 4 m) bzw. Bildgrößen