Schwarz-Weiss-Umkehrprozess (HDR-A-3D)

Schwarz-Weiss-Positive auf Glasplatten waren in der Anfangszeit der Stereoskopie weit verbreitet, zumeist in den Formaten 8,5×17,  6×13 und 45×107. Diese entstanden aber durchweg durch Umkopieren der zuvor erstellen Negative in speziellen Umkehrrahmen. Bei der Herstellung einer Kopie ist allerdings immer mit einem nicht unerheblichen Tonwertverlust zu rechnen. Es sind jedoch nicht unbedingt die technisch hochwertigen Aufnahmen von monumentalen Sakralbauten der vergangenen Jahrhunderte, die auch heute noch auf den meist männlichen Betrachter einen besonderen Reiz ausüben. 


Deux femmes 20er Jahre Frankreich
3D Bild (side-by-side) Deux Femmes, unbekannter Photograph, wahrscheinlich aus Paris in den 20er Jahren

Das Prinzip der Umkehrentwicklung bietet jedoch eine Methode an, bei der nach der Entwicklung unmittelbar ein tonwertreiches Positiv vorliegt. Bereits in den 90er Jahren wurde der erste Schwarz-Weiss-Umkehrprozess für zahlreiche Filme verschiedener Hersteller durch David Wood in den USA unter der Bezeichnung dr5.chrome entwickelt. Dieser wurde als kommerzieller Prozess jedoch erst 1997 angeboten. 

1995 stellte die Firma AGFA ihren Dia-Direkt-Entwicklungsprozess unter dem Namen AGFA SCALA zusammen mit dem eigens dafür hergestellten Filmmaterial (AGFA SCALA 200) vor. Die seinerzeit damit erzielbaren Ergebnisse waren gut, die erreichbare Maximaldichte noch verbesserungswürdig. 

 

 

Rechtes Vorderrad Mercedes Benz Silberpfeil W165 Eifelrennen 2008 Aufnahme auf Agfa Scala 200
3D Bild (side-by-side) Rechtes Vorderrad Mercedes Benz Silberpfeil W165 Eifelrennen 2008, Aufnahme auf Agfa Scala 200, Photograph Thomas Sauter

Nach Konkurs der Firma Agfa im Jahr 2005 wurden die Restbestände abverkauft und in Deutschland von zunehmend weniger werdenden Fachlaboren (u.a. dem renommierten PHOTO STUDIO 13 in Stuttgart bis Dezember 2021) auch noch entwickelt. Seither gab es so gut wie keinen kommerziellen Anbieter mehr für die fachgerechte Entwicklung von Schwarz-Weiss-Negativfilmen zu Diapositiven. Auch David Wood stellte seinen Regelbetrieb im Dezember 2022 ein. 

Klaus Wehner in Paderborn hat in den letzten Jahrzehnten mehrere ausgezeichnete Umkehrprozesse für die Selbstverarbeitung entwickelt, zuletzt für den seit Jahrzehnten bekannten und auch noch leicht erhältlichen Standardfilm Ilford FP4plus. Die entsprechenden Chemie-Kits können direkt bei ihm bezogen werden (Kontaktaufnahme unter: klaus.wehner@web.de). Die damit erzielbaren Ergebnisse sind hervorragend und übertreffen in ihrer Qualität den – nicht mehr verfügbaren – SCALA Prozess in allen wesentlichen Belangen (Kontrast, Maximaldichte). 


3D Bild (side-by-side) Treppe Tetraeder Bottrop Juli 2023, Wehner SW-Umkehrprozess Ilford FP4 plus 125 ASA, Photograph Thomas Sauter

 

Ich habe im März 2024 begonnen für die Stereoskopie eigene Schwarz-Weiss-Umkehrprozesse zu entwickeln, die es ermöglichen konventionelle Schwarz-Weiss-Negativfilme direkt zu Diapositiven zu entwickeln. Die erste Hürde, die es zu überwinden galt, war die Beschaffung der notwendigen Chemikalien. Früher ging man in die Drogerie und kaufte dort die notwendigen Chemikalien. Heute ist dies –  u.a. dank bestimmter Mitbürger, die mitunter gerne sich selbst und andere  in die Luft sprengen – leider nicht mehr ohne weiteres möglich. Vor dem Erwerb der für den Prozess notwendigen Substanzen (u.a. Schwefelsäure, Kaliumpermanganat, etc.) müssen daher zunächst dem Lieferanten eine Deklaration über die beabsichtigte Verwendung sowie ein Identitätsnachweis übermittelt werden. Das zweite Problem besteht darin ein  Rezept zum Selbstansatz zu finden, welches auch tatsächlich die gewünschten Ergebnisse liefert. Ich habe mit dem von der Firma Ilford veröffentlichten Rezept begonnen, welches bei mir jedoch durchgehend zu sehr schlechten Ergebnissen führte. Verantwortlich dafür mache ich den empfohlenen Zusatz von Natriumthiosulfat zum Erstentwickler. Hierdurch wurden wohl die Silberhalogenide schon vor der Zweitentwicklung aus der Schicht gelöst, so dass im Ergebnis sehr flaue Bilder mit einer miserablen Maximaldichte (deutlich unter 2) resultierten.

Das zugrundeliegende Prinzip des Schwarz-Weiss-Umkehrprozesses besteht darin einen geeigneten Negativfilm zunächst wie üblich zu entwickeln, diesen dann aber nicht zu fixieren. Vielmehr muss das durch die Entwicklung gerade entstandene Silberbild mittels eines Bleichbades wieder völlig entfernt werden um eine „Matrize“ des Bildes aus noch nicht entwickeltem Silberhalogenid zu erhalten. Diese wird dann mittels eines Klärbades auf den nächsten Schritt vorbereitet: Durch eine gleichmäßige diffuse Lichtexposition des gesamten Filmes unter standardisierten Bedingungen unter einer geeigneten Lichtquelle wird die Matrize belichtet. Im nun folgenden Schritt wird der Film erneut entwickelt und dann fixiert. Zwischen allen Schritten müssen Wässerungen eingefügt werden um die vorhandene Chemie zu entfernen und nicht in das nächste Bad zu verschleppen. Die Dauer der standardisierten Prozesse bei 20 Grad beträgt knapp unter 1 Stunde (den Ansatz der notwendigen Chemikalien nicht eingerechnet). Die einzelnen Schritte müssen in der Zusammensetzung und Konzentration der Chemikalien, der jeweiligen Einwirkzeit und Temperatur genau auf den jeweils verwendeten Film abgestimmt werden um ein zufriedenstellendes Resultat zu erhalten. Ich hatte hierbei nicht das Gefühl, dass dies durch die Anwendung der auch im Internet zugänglichen Empfehlungen funktioniert. Nach über 30 Fehlversuchen habe ich dann einfach mehrere Filmsorten in Standardrezepturen mit verschiedenen Konzentrationen und Zeiten getestet und letztendlich auf diese Weise 2 Prozesse gefunden, die gute Ergebnisse ablieferten. Bislang einziges Manko: Die Prozesse funktionierten bei mir nur mit einer Filmsorte eines Herstellers. Randbemerkung: Auch das Penicillin wurde durch Zufall gefunden und nicht durch systematische Forschung!

Die so erhaltenen Diapositive verfügen über einen Kontrastumfang von annähernd 10 Blendenstufen. Dieser enorme Dynamikumfang kann nur im Durchlicht mit einer spezieller Beleuchtung visuell wahrgenommen werden. Für diese Technik schlage ich daher die Bezeichnung „HDR-A-3D“ (high dynamic range analog 3D) vor.

3D Bild (side-by-side) Gletscherzunge Morteratsch Pontresina August 2024 - Umkehrprozess docsauter I.3 - Photograph Thomas Sauter

 

Unter der konventionellen (digitalen) HDR-Photographie versteht man gemeinhin eine Technik um den Dynamikumfang von Motiven mit extrem hohen Kontrasten darstellen zu können. Dabei werden mehrere Aufnahmen des gleichen Objektes (geht somit nur bei unbewegten Motiven) mit unterschiedlichen Belichtungen  aufgenommen und diese dann anschließend mit entsprechender Software zu einem Bild verrechnet. Warum macht man das?

In der Fotografie wird mit Dynamikumfang das Verhältnis der hellsten zu den dunkelsten Teilen in einem Bild beschrieben. Je größer dieses ist, umso mehr Details können in den dunklen bzw. hellen Bereichen eines Bildes dargestellt werden. Das Problem ist, dass selbst die Sensoren moderner Digitalkameras über einen geringeren Dynamikumfang verfügen als unser Auge.

Der Dynamikumfang des menschlichen Auges wird mit bis zu ca. 20 Blendenstufen angegeben.  Bei einer modernen DSLR-Kamera beträgt dieser modellabhänging jedoch nur bis etwa 10 -14 Blendenstufen. Selbst wenn wir im RAW-Format aufnehmen (welches einen höheren Dynamikumfang als das JPEG-Format hat) können wir viele Aufnahmesituationen mit der digitalen Technik folglich nicht so abbilden, wie unser Auge sie sieht.

Wenn wir nun aber mittels einer Software die unterschiedlich belichteten Aufnahmen miteinander verrechnen um sowohl in den hellsten als auch in den dunkelsten Stellen Details erkennen zu können, ist der tatsächliche Dynamikumfang des fertigen Bildes dennoch nicht höher:  Wir passen den eigentlich nicht darstellbaren Dynamikumfang nur der digitalen Technik an. Wäre der Dynamikumfang dieser so hergestellten HDR-Bilder tatsächlich höher, könnte er  weder auf einem Monitor und schon gar nicht im Druck abgebildet werden. Die Programme komprimieren die so erstellten HDR-Bilder folglich wieder zu einem Bild mit niedrigerem Dynamikumfang. Im Druck können nur Helligkeitsunterschiede von bis zu 1:80 dargestellt werden, in hochwertigen Monitoren bis ca. 1:1400.

Sicherlich ist schon jedem geschulten Betrachter aufgefallen, dass  die mit HDR-Technik erstellten digitalen Bilder häufig sehr unnatürlich wirken. Generell sollte man bemüht sein mit der HDR-Technik einen natürlichen Bildlook zu erzielen. Dennoch wird bei der Verrechnung der Einzelbilder darauf bewusst keine Rücksicht genommen, damit das Resultat in den sozialen Medien (Instagram!) möglichst spektakulär erscheint.

Da der Dynamikumfang eines analog (mit der HDR-A-3D-Technik) hergestellten Stereogramms auf einem Monitor nicht wiedergegeben werden kann, müssen die digitalisierten Kopien zuvor in einem Bildverarbeitungsprogramm bearbeitet werden (d.h. der  Kontrast reduziert, die Lichter abgeschwächt und die Schatten angehoben werden).

Die gemessenen Maximaldichten (Dmax = negativer dekadischer Logarithmus der Opazität) bei den von mir entwickelten Prozessen liegen derzeit bei 4,2 (bei 64 ASA) bzw. 3,4 (125 ASA). Die Minimaldichten (Dmin, auch als  Schleier bezeichnet) liegen bei 0,08 bis 0,15. Die Messungen erfolgten mit einem Densitometer der Firma Heiland electronic Wetzlar Typ TRD-Z.

Das oben beschriebene HDR-A-3D-Seherlebnis erfordert aufgrund des ausschließlich analogen Workflows einen hohen apparativen (analoge Mittelformatstereokamera, achromatisches Linsenstereoskop mit möglichst ähnlicher Brennweite wie die Kamera), technischen (geeignete Filme mit anschließender Entwicklung im Umkehrprozess) und zeitlichen (manuelle Rahmung der Teilbilder in 6×13 Metallrahmen) Aufwand. Ein „Sharing“ dieser Technik in den heute so verbreiteten sozialen Medien ist nicht möglich. Die auf dieser Seite abgebildeten digitalen Kopien der Stereogramme verfügen daher auch nicht über den Dynamikumfang des analogen Unikats. Somit ist auch eine breite Anwendung der HDR-A-3D-Technik nicht zu erwarten. 

Ilford Delta 100 docsauter H 25.7.2024 ASA 64 4000 Pixel Breite 2MB
3D Bild (side-by-side) Minengasanlage Gelsenkirchen, aufgenommen auf Ilford Delta 100, Prozess „docsauter H“, Photograph Thomas Sauter

Eine stereoskopische Betrachtung der obigen Beispielaufnahmen ist entweder auf einem Smartphone mittels einer einfachen Stereobrille (z.B. OWL Stereoscopic Viewer der London Stereoscopic Company von Brian May) oder auf einem Monitor mittels eines Spiegelstereoskops (z.B. Berezin ScreenVu Mini) möglich.

Berezin ScreenVU Mini